04 Jan

Diagnostik einer Legasthenie

Die Diagnostik der Legasthenie bzw. der Dyskalkulie ist eine multiaxiale Ausschlussdiagnostik  gemäß ICD 10 der WHO und gehört damit zur Heilbehandlung. Da die Diagnostik eine multiaxiale Ausschlussdiagnostik ist, damit  auch eine Anamnese umfasst, und da Testungen stets über den schulischen Bildungsauftrag hinausgehen, werden Testungen und Diagnostik als Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit verstanden und greifen damit in das Persönlichkeitsgrundrecht nach Artikel 2 des GG ein. Deshalb dürfen Diagnostik und Testung nur mit Einverständnis der Personensorgeberechtigen erfolgen und auch nur durch dafür ausgebildete Fachkräfte durchgeführt werden (Zier, J., 2002, Recht für Diplompsychologen – Eine Einführung, 53ff).

Fehlende Anamnese, fehlende Berücksichtigung der Stellungnahmen der Schule, fehlende Elterngespräche, fehlender Vertrauensaufbau mit dem Kind im Vorfeld der Testverfahren, fehlende Verhaltensbeobachtungen beim Kind, fehlende Erläuterungen der Testergebnisse und fehlende Aufzeichnung der den tatsächlich kognitiven Fähigkeiten angemessenen erforderlichen, notwendigen und möglichen Fördermaßnahmen für das Kind, weisen, so  Christoph Perleth von der Universität Rostock, auf erhebliche „Kunstfehler der Diagnostik” hin.

Lehrer dürfen Leistungstests, Fähigkeitstests, Lese- und Rechtschreibtests sowie Rechentests durchführen. Sie dürfen jedoch keine Intelligenz- oder Persönlichkeitstests sowie keine Legasthenie/Dyskalkulie-Diagnostik vornehmen, da diese Testungen außerhalb des pädagogischen Auftrags liegen. Ihnen fehlt, nach Johannes Zier, darüber hinaus auch die fachliche Ausbildung.

Schulpsychologen und Diplom-Psychologen dürfen psychologische Tests durchführen,  aber keine Legasthenie/Dyskalkulie-Diagnostik erstellen, da diese der Heilbehandlung zugeordnet werden, für die Diagnostik dieser Teilleistungsstörungen also eine Approbation Voraussetzung ist. Nur approbierte psychologische Psychotherapeuten, Kinder- und Jugendpsychiater und  Ärzte mit dem Nachweis über „besondere Erfahrungen auf dem Gebiet seelischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen” (§ 35a SGB VIII) sind befugt, Leistungsdiagnostiken durchzuführen.

Mit Änderung des SGB VIII im Jahr 2005 (KICK) hat der Gesetzgeber in § 35a SGB VIII für die Feststellung einer seelischen Behinderung die Berufsgruppen präzisiert, die auf Basis einer multiaxialen Diagnostik nach WHO eine seelische Störung (z.B. Legasthenie mit Sekundärstörungen) diagnostizieren und nach ICD10 klassifizieren dürfen.

Danach dürfen:

  1. Ärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie
  2. Approbierte Kinder- und Jugendpsychotherapeuten,
    und um die Versorgung zu garantieren:
  3. Ärzte oder approbierte psychologische Psychotherapeuten, die nachweislich besondere Erfahrungen auf dem Gebiet seelischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen haben

diagnostizieren und klassifizieren.

Nach § 35a SGB VIII soll „der Träger der öffentlichen Jugendhilfe (Jugendamt) die Stellungnahme (…) ein(zu)holen”, muss aber nicht zwingend Auftraggeber der Stellungnahme sein. Vielmehr soll, nach Wiesner, mit dem Wortlaut des § 35a deutlich werden, dass die Feststellung der seelischen Störung nicht selbst vom Jugendamt getroffen werden darf.

Liegt bei Antragsstellung keine qualifizierten Diagnostik und Stellungnahme vor, sollte das Jugendamt geeignete Stellen vorschlagen und die Kosten für die Diagnostik übernehmen.

Um einem möglichen rein wirtschaftlichen Interesse entgegen zu wirken, sieht das Gesetz die Trennung von diagnostizierender Stelle und Therapeuten vor  (§ 35a Absatz 1a Satz 4 SGB VIII).

Abschließend nur kurz zu Datenschutz: Es besteht allein schon aus dem Bundesdatenschutzgesetz und im Besonderen aus dem Datenschutzgesetz des SGB VIII das Recht auf voll umfängliche Auskunft über sämtliche erhobenen, verarbeiteten und gespeicherten Daten (Gesundheitsamt, Jugendamt). Ebenso besteht ein Recht auf Akteneinsicht. Das heißt, dass das Gesundheitsamt verpflichtet ist, den Eltern auf Wunsch vollumfänglich Auskunft zu erteilen. Die Eltern haben ein Recht auf Akteneinsicht und in sämtliche darin befindlichen Unterlagen (Testverfahren, Testergebnisse im Einzelnen, Vermerke, Vermerke von Telefonaten). Die Eltern können sich Kopien von sämtlichen Unterlagen erstellen lassen.

Fegert, J. M., et al., 2008, Stellungnahme zur Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII der Kommission Jugendhilfe der kinder- und jugendpsychiatrischen Fachgesellschaften, in: JAmt, Heft 4/2008, 177-186.

Münder, J., Meysen, Th.,  Trenczek, Th., Hg., 2009, Frankfurter Kommentar zum SGB VIII: Kinder- und Jugendhilfe.

Perleth, Ch. Prof., Grundlagenwissen der Diagnostik für Nicht-Psychologen, Universität Rostock.

Wiesner, R., 2011,SGB VIII. Kinder- und Jugendhilfe. Kommentar.

Zier, J.,   2002, Recht für Diplompsychologen. Eine Einführung.

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